Sanguineus - Band II: Neugeboren (German Edition) by Ina Linger

Autor:Ina Linger [Linger, Ina]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-05-05T04:00:00+00:00

Nathan war eine der wenigen Personen in meinem Leben gewesen, die mich von Beginn an immer wieder überrascht und fasziniert hatten. Und er war schon immer ein besonderer Mensch gewesen – ein Mensch mit zwei Seiten, die sich wundervoll ergänzten, aber manchmal auch gegenseitig im Weg standen. Sensibel, mitfühlend und einfühlsam auf der einen Seite; stark, kämpferisch, rebellisch, leidenschaftlich auf der anderen. Zudem besaß er noch einen unerträglichen Dickschädel, eine hohe Intelligenz und ein ziemlich schnell hoch kochendes, manchmal kaum zu zügelndes Temperament, das ihn immer wieder in so manche Schwierigkeiten brachte. Aber er war eine Kämpfernatur, ein Stehaufmännchen, das sich von nichts und niemandem so schnell unterkriegen ließ und gerade das war es, was ich an ihm so oft bewunderte, war es doch eine Eigenschaft, die auch ich besaß; eine Gemeinsamkeit, die wir beide aneinander sehr schätzten. Ganz gleich, wie schlecht es uns manchmal ging, wir wussten beide von dem anderen, dass er sich wieder erholen würde, dass er bald wieder der Alte und für den anderen da sein würde und keiner von uns Angst haben musste, seinen besten Freund für immer an die dunkle Seite des Lebens zu verlieren. Nun jedoch, nach fast 50 Jahren der Freundschaft, kamen zum ersten Mal Zweifel in meinem Inneren auf; Zweifel daran, dass Nathan sich von den traumatischen Erfahrungen des letzten Jahres tatsächlich so weit erholen konnte, dass er wieder zu dem wurde, der er einmal gewesen war. Zweifel, die ich mit aller Macht bekämpfte.

Vier Tage waren bereits vergangen, seit ich Sam weggeschickt hatte, doch es kam mir weitaus länger vor. Nathan hatte sich durch die professionelle Behandlung Petersons körperlich deutlich erholt. Er hatte zwar immer noch mit seinem Kreislauf und sowohl den Nachwirkungen der schweren Verletzungen als auch den Nebenwirkungen seiner langsam seltener werdenden Verwandlungen zum Vampir zu kämpfen, konnte sich allerdings mittlerweile auch in seiner menschlichen Gestalt selbstständig fortbewegen und sich mit uns sprachlich austauschen.

Dass er das konnte, hieß aber nicht, dass er es auch tat und dass es besonders angenehm war, wenn er es tat. Bisher hatten sich seine verbalen Ergüsse meist auf knappe Bestätigungen und Verneinungen von Fragen beschränkt – vor allem in den ersten Tagen, in denen ihm sein Kreislauf besonders zu schaffen gemacht hatte. Auch hatte ihn das Sprechen zunächst sehr angestrengt, doch mittlerweile ging es deutlich besser. Dennoch ließ er sich zu längeren Sätzen nur hinreißen, wenn ihm irgendetwas nicht passte und er wütend wurde – das konnte er allerdings ziemlich gut und über Kleinigkeiten, wie zum Beispiel, wenn ihm etwas aus der Hand glitt oder er etwas aufgrund seines ihn gelegentlich befallenen Tremors nicht wirklich ergreifen konnte. Lautstärke, dumme Fragen und Hektik belasteten seine ziemlich dünnen Nerven ebenfalls immens und das war auch einer der Gründe, warum ich Barry zusammen mit seinem nervigen Freund immer in den Keller schickte, wenn Nathan sich freiwillig aus seinem Zimmer begab. Auch wenn die beiden sich gut kannten und zuvor beinahe so etwas wie Freunde gewesen waren, momentan war es das Beste, wenn sie sich aus dem Weg gingen.

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